Die Legende
von
Cornbrant ap Midbar



Prolog

DAS WAPPEN VON MIDBAR

Der Kleinerbe

Isostar ap Linth

Der Großfürst

Dolomit tren Keer

Caradurs Feuergang

Brinnentrutz

Stiftenbrants Tod

Das Banner von Turgenien

Die Glatte Ebene

Arynmon

Auf "Großer Fahrt"

Lure Ogertod

Operation Wildschwein




Index

Stammbaum

Zeittafeln



"Die Legende von Cornbrant ap Midbar" und die darin geschilderten fiktiven Personen, Orte und Begebenheiten sind mein geistiges Eigentum, sofern es sich dabei nicht um Begriffe aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit, ihrem reichen Kulturschatz oder gar der Unterhaltungsindustrie handelt. Besonders auf solche letzterer Provenienz erhebe ich selbstredend keinerlei Ansprüche, gell?

Hamburg, 2008

 
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  Cornbrant ap Midbar

Abschnitt I – Worin Rhudwards Tochter aufbricht, ihren Bruder zu retten

Cornbrant ap MidbarDane war weder das älteste Kind der Königin, noch stammte ihr Vater aus einer besonders angesehenen Familie. Aber bereits mit acht Jahren zog sie Rhudwards Aufmerksamkeit auf sich, als sie einem älteren Jungen unter Zuhilfenahme ihres Kurzschwerts die Karriere als Bogenschütze vermasselte: er hatte eines der kleineren Geschwister zum Ziel seiner Schießübungen auserkoren, Dane stelle ihn zur Rede, wurde mit einer äußerst unflätigen Geste bedacht und zack! – fehlten dem vielversprechenden Knaben Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand.
Das Geschrei war natürlich groß, doch fanden sich genug Zeugen, die den Sachverhalt klären konnten. Und als Dane schließlich das dreizehnte Lebensjahr erreicht hatte, ohne von Grippe, reißenden Bächen, tollwütigen Hunden oder stürzenden Dachbalken ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen worden zu sein, erwählte die Königin sie zu ihrer Ersttochter und Großerbin und gab ihr den Namen Helgward.

Tatkraft, Mut, ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn und die Liebe zu langen scharfen Gegenständen sollten Helgwards herausragendsten Eigenschaften bleiben. Keine Woche nach der dreisten Entführung des Prinzen Rudhgard gürtete sie sich mit ihrem treuen Schwert (dessen Name vorerst keine Rolle spielt) und bestieg in aller Herrgottsfrühe unter falschem Namen einen Lastkahn, der sie den Fluss hinauf zum Gebirge trug, wohin der Schwarzgeflügelte entschwunden war.

Im "Wappen von Midbar" zu Saragon war der Teufel los. Vor sieben Tagen hatte ein feuriger Schatten die Sonne verdunkelt. Scheppernd wie ein gigantischer geflügelter Ascheimer  war das mächtige Panzerungetüm Ancalagon über den Marktflecken hinweggezogen, in seinen Klauen den unglücklichen Fürstensohn, "den man ganz deutlich hat erkennen können!" Der Drache hatte Feuer gespieen, Eis, Chlorgas, je nachdem, ob der Augenzeuge ein lymanischer Tourist oder ein Einödbauer aus den Sieben Bergen war oder eine Souvenir-Händlerin, die Drachenschuppen, verkohlte Fetzen vom Gewand des Prinzen und Runensteine gegen Wurmodem verhökerte und dabei das Geschäft ihres Lebens machte.
Als Helgward den rappelvollen Schankraum der Taverne betrat, erstarb das hitzige Stimmengewirr mit einem Mal. Verdammt. Sie haben mich erkannt! war ihr erster Gedanke, doch dass das Schweigen galt nicht ihr: Ein nicht mehr ganz so junger Krieger war auf einen Tisch gestiegen, er trug die Farben Turgeniens und alle Anzeichen mittelschwerer Trunkenheit. Beschwörend hob er die Hände: "Ich stand ihm gegenüber, dem Untier! Seine Augen waren so kalt wie der Mond und so hell wie die Sonne! Ölige Rauchschwaden quollen aus seinen mächtigen Nüstern! Die Fangzähne entblößt starrte es mich an, die lüsterne Zunge hing klafterweit aus seinem grausigen Schlund, und grüner Schleim troff daran herab! Meine Seele erbebte, ihr dürft es mir glauben, allein: Ich widerstand!"
Ach du dicke Scheiße! dachte Helgward und schloss die Augen. Es gab wohl nur einen Mann in ganz Midbar, der ein über vier Fuß langes Schwert auf dem Rücken spazieren trug, und das Abbild des weißen Drachen, das die entblößte Brust des Turgeniers schmückte, beseitigte die letzten möglichen Zweifel: Auf dem Kneipentisch stand Isostar ap Linth, Mitglied der Hohen Familie, und machte sich vor Treidlern, Tagelöhnern und Trunkenbolden zum Affen.
Helgward war empört. Unwillkürlich trat sie einen Schritt aus dem Schatten neben der Tür. Und genau in diesem Moment, als hätte er ihre Missbilligung wahrgenommen, fiel der Blick des Drachentöters auf die Großerbin von Abregon.
Schnell wandte Helgward sich ab. Sie hatte einen Fehler begangen und damit ihr Inkognito gefährdet: Isostar war ihr zwar erst ein einziges Mal begegnet, doch dies anlässlich ihrer Taufe vor vier Jahren, wo sie natürlich im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gestanden hatte. Selbst betrunken würde er sie früher oder später wiedererkennen. Und derweil Isostar ap Linth beim Versuch, zu ihr zu gelangen, unter Getöse und dem Jubel der Gäste vom Tisch stürzte, verließ Helgward das "Wappen von Midbar" und tauchte in der Nacht unter.

 

Abschnitt II – Worin eine Rechnung präsentiert wird

Cornbrant ap MidbarAm nächsten Morgen – na ja: Frühnachmittag – erwachte Isostar ap Linth in einem muffigen Gästezimmer des "Wappen von Midbar" und lauschte dem Toben der Oger, die in seinem Kopf mit steinernen Keulen aufeinander eindroschen. Offenbar hatte er sich letzte Nacht ganz hervorragend amüsiert.
Im Schankraum erwarteten ihn der umwerfende Geruch von kaltem Rauch und abgestandenem Bier sowie ein blendend gelaunter Wirt, der bei Isostars Anblick sofort eine über und über mit Kreidestrichen bedeckte Schiefertafel hochhielt.
"Das macht ziemlich genau zwei Schafe, mein Fürst."
Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm Isostar die Rechnung entgegen und orderte ein Bier.

An einem Tisch am offenen Fenster wartete er, bis die wütenden Menschenfresser unter seiner Schädeldecke, vom Frühschoppen beschwichtigt, ihre Aktivitäten auf ein erträgliches Maß reduziert hatten. Behutsam tastete er sich sodann an seine Erinnerungen heran: Wie immer war reichlich Alkohol im Spiel gewesen, an fünf Lokalrunden konnte er sich mit Bestimmtheit erinnern, an ein Wetttrinken mit anschließendem Wettpinkeln und Klamottentausch. Vermutlich hatte er auch dieses Jahr seine Drachenrede gehalten ... stimmt, er hatte irgendwann auf dem Tisch gestanden ... und klar: da meldete sich ja auch schon die innere Stimme – "Schämst du dich nicht?! Du hast dich wie eine offene Hose benommen!" –, doch ihr pflegte Isostar keine Bedeutung mehr beizumessen, seit er vor Jahren einen Trolljäger, der betrunken einen nicht mal besonders unanständigen Witz erzählt hatte, am nächsten Tag vor Scham darüber hatte weinen sehen.
Nichts außergewöhnliches also, das Übliche, wie jedes Jahr in Saragon, wenn er seinen ganz persönlichen Jahrestag feierte. Obwohl – irgendwas war da doch noch gewesen ..! ... Ach – sei’s drum! Jahrestag vorbei, ab nach Hause! ... Jahrestag! Sieben Jahre genau! Vor sieben Jahren war er zum Kleinerben von Turgenien ernannt worden, und jetzt war er Herr von Linth und weltberühmter Drachentöter. Sieben Jahre! Sieben verfluchte Jahre ...